Capital: Strom sparen

Wie gut sind die Papiere von Energieversorgern heute? Ist die Größe im deutschen Energiegeschäft ein Vorteil? Capital sprach mit Rolf Kieckebusch, Vorstand der KIRIX Vermögensverwaltung AG.

Strom sparen

Über Jahrzehnte waren Aktien von Energieversorgern wie   RWE und Eon so sicher wie Renten. Dann kamen Absturz und radikaler Umbau. Wie gut sind die Papiere heute?

Johannes Schares schaut auf die Konstruktion aus Hunderten ineinander verwebten Stahlstangen, es ist der Sockel einer der sechs neu- en Windturbinen. Hier im Windpark Jüchen, ganz im Westen Nord- rhein-Westfalens, errichtet Schares für den Energiekonzern RWE Windräder. Bald schon sollen sie sauberen Strom erzeugen, doch hoch über den Äckern schwebt trotzdem noch eine dicke, weiße Wolke. „Das ist das Braunkohlekraftwerk Neurath“, sagt Schares.

Im Windpark Jüchen treffen zwei Welten aufeinander. Kohle und Wind, brennende Öfen und rotierende Windräder, fossile Energieträger und erneuerbare Energie. Oder, wenn man es nach der Konzernstruktur von RWE ausdrücken will: RWE Power trifft auf RWE Renewables, beides hundertprozentige Töchter der Holding. Auf einem Teil des Tagebaus Garzweiler baut der Energiekonzern seit Monaten den eigenen Windpark aus, die gesamte Anlage soll ein- mal 27 Megawatt Leistung bringen und Energie für 26 000 Haushalte liefern.

Der Konzern setzt große Hoffnungen in den Windpark. Bis 2040 möchte RWE klimaneutral werden. CEO Rolf Schmitz hofft, den Konzern durch den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder zu einem „Wachstumsunternehmen“ zu machen. Es wäre an der Zeit.

Lange waren die Aktien von Energieversorgern ein Investment, mit dem Anleger ruhig schlafen konnten: unspektakulär, aber zuverlässig. Doch nicht nur RWE, auch der noch größere Konkurrent Eon hat wilde Jahre hinter sich. Bis zur Finanzkrise ging es für beide stets aufwärts, die Versorgerriesen aus Essen konnten sich den deutschen Markt de facto aufteilen. Doch 2008 kam der erste Einschnitt: Hohe Schulden, seit jeher Teil des Geschäfts, waren für Investoren plötzlich ein rotes Tuch. 2011 dann stieg Deutschland nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hektisch aus der Atomkraft aus, 2019 auch noch aus der Kohleenergie. Innerhalb weniger Jahre wurden den Konzernen Geschäftsfelder genommen, in die sie über Jahrzehnte eine Menge Geld investiert hatten.

Die RWE-Aktie hat so seit dem Allzeithoch im Januar 2008 bis heute 67 Prozent ihres Werts verloren, die Eon-Anteile sogar 80 Prozent – während der Dax im selben Zeitraum 47 Prozent zu- gelegt hat. Zwar bringt das grundsätzlich ja weiterhin sichere Geschäftsmodell auch weiter eine Dividende, die aber wird dauernd gekürzt oder gestrichen. Und überhaupt: Was nützt dem Aktionär eine Ausschüttung, wenn der Aktienkurs immer weiter nach unten läuft?

Darum also ein neuer Anlauf: Nach vielen Jahren des Jammerns haben RWE und Eon in den vergangenen vier Jahren ihre Geschäfte grundlegend neu geordnet, Sparten verkauft, Unternehmensteile getauscht, Anteile übernommen. Eon hat sich dabei auf die Netze und das Endkundengeschäft konzentriert, RWE auf die Stromerzeugung. Es war ein Kraftakt. An dessen Ende allerdings stellt sich nicht nur für Anleger die Frage: Wie stehen die beiden Konzerne denn nun eigentlich da?

An Johannes Schares ist all das Hin und Her nicht spurlos vorbeigegangen. Auf seinem Helm klebt noch ein Sticker mit dem Firmenlogo der Innogy SE, in der RWE einst sein Geschäft mit erneuerbaren Energien gebündelt hatte. „Eigentlich könnte ich das mal erneuern“, sagt Schares. Innogy gehört nämlich heute zu Eon. Nachdem RWE Innogy 2016 zunächst aus schierer Geldnot an die Börse brachte, hat Eon im Zuge des großen Umbaus 2019 die Mehrheit an Innogy übernommen. Vertrieb, Netze und Namen gingen dabei an Eon, genau wie die meisten Mitarbeiter; das Geschäft mit den erneuerbaren Energien aber – all die Windparks und Wasserkraftwerke – blieb bei RWE.

Schares ist also weiterhin bei RWE beschäftigt. Dort hat er ja auch angefangen, 2007 bei der RWE Power AG. Er hat jahrelang Kohlekraftwerke konzipiert, zuletzt ein Steinkohle- und Biomassekraftwerk im niederländischen Eemshaven. Nun baut er Windkraftanlagen. „Das ist ganz anders, als große Kraftwerke zu bauen. Die Aufgaben sind weniger komplex, die Herausforderungen liegen woanders“, sagt er. Vom Baubeginn bis zur fertigen Windmühle dauert es dafür auch meist nur zwölf Monate, bis ein Kraftwerk steht, vergehen Jahre.

KOMMT GUT AN

Der große Konzernumbau hat Schares allerdings nicht nur als Mitarbeiter betroffen, sondern auch als Aktionär: Er kauft regelmäßig RWE- Aktien, meist über das Mitarbeiterprogramm. Wie viele andere Aktionäre hat er am eigenen Leib erfahren, wie viel RWE die politischen Entscheidungen des vergangenen Jahrzehnts kosten. Und er hat auch er- lebt, wie wenig die Corona-Pandemie das Geschäft beeinflusst. Strom wird immer gebraucht. So liefen die Aktien von RWE und Eon seit Beginn des Jahres merklich besser als der Dax – und die Versorger damit das erste Mal seit Langem wieder besser als andere Sektoren. „Die Neuausrichtung des Konzerns ist eine Kehrtwende“, sagt er.

Analysten scheinen das so zu sehen. Aus ihren Kurs- und Gewinnrevisionen lässt sich schließen, dass die Neuordnung gut ankommt. Ein Blick auf das durchschnittliche Kursziel zeigt jedoch, dass RWE 12,8 und Eon sogar 21,2 Prozent hinter den Vorhersagen liegt. Werner Eisenmann von der DZ Bank ist einer der Analysten, die die Aktien von RWE zum Kauf einstufen. „Die Bewertung ist für die Marktaussichten und das Wachstumspotenzial nicht gerechtfertigt“, meint er. RWE ist auf der Basis der geschätzten Gewinne für das Jahr 2020 aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 bewertet. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das den Börsenwert mit dem Eigenkapital eines Unternehmens vergleicht, beläuft sich gerade einmal auf 1,2.  Das liege deutlich unter dem Branchenschnitt, so Eisenmann.

Wachstumschancen sieht er besonders im nordamerikanischen Markt. RWE produziert dort 34 Prozent seiner erneuerbaren Energien. Im Offshore-Bereich, bei Windparks, die im Meer stehen, ist RWE weltweit Nummer zwei. „Energieversorger müssen kein schlechtes Investment sein“, sagt Eisenmann. Der Analyst verweist auf Unternehmen wie Ørsted und Nextera Energy, deren Aktien in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind.

Im Vergleich zu internationalen Energieunternehmen laufen die Gewinnmargen der deutschen Werte allerdings deutlich hinterher. Bei RWE blieben in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich 16,3 Prozent Gewinn vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern (EBITDA) hängen. Bei Eon waren es 12,7 Prozent. Von Zahlen wie beim dänischen Konkurrenten Ørsted (27,9 Prozent), Nextera Energy (46,8) oder der französischen Gesellschaft Électricité de France (23,5) sind die deutschen Unternehmen weit entfernt.

Das wirft die Frage auf, ob Größe im deutschen Energiegeschäft überhaupt ein Vorteil ist. Rolf Kieckebusch ist Vorstand der Vermögensverwaltung Kirix. Er konzentriert sich vor allem auf die kleinen Anbieter. „Die haben den Vorteil, dass Innovationen schneller und reibungsloser entstehen und umgesetzt werden können“, sagt er. Das sei besonders im Feld der erneuerbaren Energien wichtig. „Viele kleine Unternehmen können dabei das, was RWE und Eon versuchen, effektiver leisten“, sagt Kieckebusch, der etwa 500 Mio. Euro Kundengelder verwaltet.

RÜCKSTAND DER RIESEN

Als Beispiel nennt er 7C Solarparken: eine AG mit Sitz in Bayreuth, spezialisiert auf den Erwerb und Betrieb von Fotovoltaikanlagen, mit einer Marktkapitalisierung von rund 233 Mio. Euro. Das Unternehmen erzielte 2019 bei einem Umsatz von 43 Mio. Euro ein EBITDA über 38,1 Mio. Euro  – eine Marge von strahlenden 88 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren gab es eine EBITDA-Marge von im Schnitt 85 Prozent; RWE und Eon können davon nur träumen.

Der Rückstand der Riesenkönnte unter anderem an den Kosten der Stromerzeugung liegen. So ist es nach Zahlen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme mit im Schnitt 6,1 Cent bereits günstiger, eine Kilowattstunde Strom aus Onshore-Windkraft zu erzeugen als aus Stein- oder Braunkohle (8,1 Cent und 6,3 Cent). Aufgrund des lang gezogenen Ausstiegs werden diese Energiequellen bei den Großen aber noch eine Weile eine Rolle spielen. Auch Solarstrom ist mit 7,6 Cent pro Kilowattstunde längst konkurrenzfähig und sogar günstiger als Erdgas (8,9 Cent). Lediglich die Offshore-Windkraft, bedingt durch die immensen Kosten beim Bau, ist mit 10,8 Cent teurer als die konventionellen Energieträger. Nimmt man die Umwelt- und Gesundheitskosten noch in die Rechnung auf, ist ohnehin keine der fossilen oder nuklearen Alternativen günstiger als Energie aus Wind oder Sonne.

Das mag die kleinen Unternehmen, die nicht mit den Altlasten einer Energiewende zu kämpfen haben, begünstigen. „Jedoch können diese Spieler meist keine teuren Investitionen wie ganze Offshore-Windparks finanzieren“, sagt Vermögensverwalter Kieckebusch. Er sieht die Berechtigung der großen Versorger genau in diesen Großprojekten.

DZ-Bank-Analyst Eisenmann betont, dass die beiden Energiekonzerne bei Skaleneffekten und günstigeren Konditionen zur Schuldenaufnahme Vorteile gegenüber den Kleinen hätten. Anders als bei RWE empfiehlt er für Eon allerdings lediglich: „Halten“ – und weist auf die hohe Verschuldung von Eon hin, die das Unternehmen weniger robust mache als andere im Energiesektor.

Die Nettoverschuldung von Eon betrug Ende 2019 rund 39 Mrd. Euro, getrieben durch die Kosten der Innogy-Übernahme. Das bereinigte EBITDA liegt bei knapp 5,6 Mrd.  Euro, der Verschuldungsgrad bei 7,1.  RWE hat 2019 ein bereinigtes EBITDA von 2,5 Mrd. Euro erzielt.  Bei einer Nettoverschuldung von 9,3 Mrd. Euro bedeutet das einen Verschuldungsgrad von 3,7.

Überhaupt scheinen Anleger einen klaren Gewinner der Innogy-Transaktion zu sehen: Während die Eon-Anteile seit Beginn des Jahres etwa 6,6 Prozent verloren haben, sind die Aktien von RWE in der- selben Zeit um 19 Prozent gestiegen. Auch auf Fünfjahressicht hat sich RWE besser geschlagen als Eon. An vielen Stellen hört man, dass RWE mit dem Erzeugungsgeschäft den besseren Deal geschlossen habe. Das Wachstum liege in der Erzeugung, die Stabilität dagegen in den Netzen und im Endkundengeschäft – das scheinen auch Investoren so zu bewerten.

STABILES NETZ

Bei Eon sieht man das freilich anders. „Jedes Windkraftwerk, jede Solaranlage, jede Ladesäule muss ans Netz angeschlossen werden“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Mit der RWTH Aachen haben die Essener eine Studie erstellt. Durch die Energiewende und die immer stärkere Elektrifizierung des Alltags sollen allein in Deutschland bis 2050 rund 110 Mrd. Euro für den Ausbau der Energieinfrastruktur nötig werden. Mehr als 50 Millionen Kunden hat Eon in Europa und ist so einer der größten Anbieter des Kontinents. 80 Prozent des Gewinns kommen dabei aus dem regulierten Netzgeschäft. Das hat den Vorteil, dass Umsätze und Margen stabil planbar sind. Die Wachstumsstrategie von Eon ist deswegen ein „Hybrid“: Vier bis fünf Prozent pro Jahr soll das Geschäftsfeld der Netze wachsen, gleichzeitig soll das Endkundengeschäft durch neue Technologien schneller wachsen. An Schlagworten mangelt es den Essenern nicht: Smart Cities, Smart Meter, Vehicle-to-Grid. Entsprechend ehrgeizige Ziele hat sich Eon für seine Aktionäre gesetzt: Man will die Dividende bis einschließlich 2022 um bis zu fünf Prozent pro Jahr erhöhen und gleichzeitig Schulden abbauen. Ob dieser Plan wirklich aufgeht, wird sich in Deutschland – dem aktuell größten Markt für Eon – in Berlin entscheiden. Denn sollte die Bundesregierung die Entgelte für das Stromnetz senken, dürfte Eon vor der nächsten Krise stehen – nur dies- mal mit deutlich höheren Schulden in den Büchern.

Atom- und Kohleausstieg haben gezeigt, dass sich der Wille der Politik schnell ändern kann  – im Zweifel gegen die Interessen der heimischen Unternehmen. Politische Entscheidungen könnten aber auch für einen zusätzlichen Gewinn sorgen. Die Investmentbank Goldman Sachs untersuchte jüngst, wie sich der „Green Deal“ der Europäischen Kommission auf die Geschäftsaussichten der Versorger auswirken könnte. Als einen der großen Profiteure sehen sie ganz klar RWE. Sollte das ehrgeizige Programm der EU-Kommission durchgehen, das klimaneutrale Energieproduktion mit knapp 500 Mrd. Euro fördern möchte, sehen die Banker das Potenzial für ein Kursplus der RWE-Aktie von fast 50 Prozent. Sollte der europäische Weg weltweit Schule machen, sei sogar ein Plus von 64 Prozent für RWE drin.

Der Windpark Jüchen, gebaut auf dem alten Braunkohletagebau von Garzweiler, wäre dann nur ein kleines Vorzeigemodell – für eine ganz neue Zukunft. (Text: Maximilian Rösgen)

Capital Ausgabe 12/2020